Spielen und Lernen als Einheit verstehen
Lässt die Grundschulzeit den Kindern genügend Spiel-Raum?
Diese Frage stellten wir Anja Enzenberger, die als Grundschul-Pädagogin ausschließlich Erst- und Zweitklässler unterrichtet: „Mit der Schule beginnt der so genannte ‚Ernst des Lebens‘, aber die ersten beiden Grundschuljahre enthalten auch viele spielerische Elemente. Wie setzen Sie bei den Erst- und Zweitklässlern den Lehrplan um und lassen den Kindern trotzdem Spiel-Raum beim Lernen?“
„Der Mensch spielt nur, wo er in voller Bedeutung des Wortes Mensch ist, und er ist nur da ganz Mensch, wo er spielt.“ – Dieser Satz von Friedrich Schiller fiel mir sofort zu dieser Frage ein und auch, dass gerade das Spiel jene Form der Betätigung ist, mit der sich das Kind die Welt erschließt: ausprobieren, „so tun als ob“, nachahmen, etwas versuchen und dabei auch Fehler machen dürfen und vor allem: dabei auch Spaß haben. Denn das Lernen an sich macht Spaß. Wenn ich etwas gelernt habe, wenn ich Erfolgserlebnisse dabei habe, wenn ich mich mit etwas beschäftigen darf, was für mich persönlich bedeutsam ist, dann macht mir das trotz aller Mühe auch Spaß. Um es wissenschaftlich zu sagen: Lernen setzt Endorphine frei.
Wer darüber nachdenkt, dem ist sofort klar, dass jedes Kind bereits vor dem Schuleintritt schon eine Menge gelernt hat: Laufen und Sprechen zum Beispiel, um nur die offensichtlichsten Leistungen zu nennen. Alles ohne Schule, und das meiste davon spielerisch. In der Schule ist natürlich vor allem der Lehrer für das Lern-Arrangement verantwortlich. Dafür, dass das Lernen weiterhin Freude macht, dass die Gegenstände für das Kind interessant genug sind, um sich damit auseinanderzusetzen und dafür, dass mit Misserfolg und Verschiedenheit achtsam umgegangen wird, dass der Wechsel zwischen Anspannung und Entspannung gelingt und auch dafür, dass nicht zu viel und nicht zu wenig verlangt wird. Insofern gibt es nichts Besseres, als die Schule zu einem Spielraum zu machen. Wir machen Sprachspiele, Reaktionsspiele, Merkspiele, Reimspiele, Buchstabenspiele … Und natürlich erfinden wir auch mal ein Spiel oder ändern die Spielregel. Denn auch das gehört zum Spiel: Wir können es an unsere Bedürfnisse anpassen. Wenn das gelingt, dann sind Spiel und Lernen eins.
Einer meiner Schüler wurde mal nach einigen Wochen des Schulbesuches gefragt, ob es nicht sehr anstrengend sei in der Schule. Er antwortete: „Nein, gar nicht, wir spielen eigentlich nur!“ Diese Antwort hat mich als Lehrerin damals sehr gefreut, wusste ich doch, was dieses Kind bis dahin in der Schule schon alles gelernt hatte. Wenn er das als ‚Spielen‘ für sich verbucht hatte, dann war uns gemeinsam einiges gelungen.
Anja Enzensberger, Grundschulpädagogin