Nein, wir sind hier nicht in einem Streichelzoo – auch wenn alle Tiere im Luise Scheppler-Kinderhort sich darauf verlassen können, regelmäßig liebkost zu werden. „Die Kinder lernen mit Hilfe unserer Tiere die Achtung vor Leben“, erklärt Hortleiterin Sabine Bauernsachs das Konzept der tiergestützten Pädagogik. Dazu gehören auch Naturbeobachtungen – z.B. über das Leben der Feuerwanzen im Hortgarten. Ein Besuch in der Gartenstadt.
„Guck doch mal raus, Coco, hier gibt’s was Leckeres …“ – vorsichtig hockt sich die achtjährige Maxine neben das Hasenhäuschen und lockt den weiß-bunten Hasen für das Foto heraus. „Die Kinder lernen von den Tieren, dass nicht immer alles so geht, wie sie es wollen“, beschreibt Sabine Bauernsachs den Wert der pädagogischen Erfahrungen mit den Vierbeinern. Auch Daggi, von Beruf pädagogische Begleithündin, hat gerade genug mit den Kindern gespielt und möchte jetzt einfach nur liegen und gestreichelt werden. Die fünfjährige Bouvierhündin absolvierte gemeinsam mit ihrem Frauchen, Erzieherin Kerstin Kruse, vor drei Jahren die dafür nötige Ausbildung. Ihre Rasse des belgischen Hütehunds zeichnet sich von Haus aus durch eine extreme Geduld aus. Bouvierhunde haaren kaum – auch das ist wichtig für ihre Arbeit mit den Kindern. Als Sabine Bauernsachs Anfang 2015 die Hortleitung übernahm, wurde die tiergestützte Pädagogik dort bereits umgesetzt. „Ich fand das Konzept toll und habe es weiter professionalisiert“, erläutert sie. Eine Elternumfrage ergab die 100%- Zustimmung für das Einbinden der Tiere. Für die Mitarbeiter*innen veranlasst sie regelmäßige Fortbildungen, und der Hygieneplan für die Einrichtung wurde angepasst. Sabine Bauernsachs: „Überall, wo sich die Tiere aufhalten, wird regelmäßig desinfiziert, und unseren Hort können nur Kinder ohne Tierhaarallergien besuchen.“
Neben Daggi gehören die drei Meerschweinchen Lucky, Lisa und Honey und die Häsinnen Coco und Lady zur Hort-Menagerie. Häsin Sweety wurde im letzten Sommer mit tränenreichem Abschied zu Grabe getragen. „Sweety wurde neun Jahre alt und war damit länger bei uns als jedes Hortkind“, berichtet die 38-jährige Pädagogin. „Alle Kinder haben sich von ihr vor dem Einschläfern verabschiedet, und wir haben ausführlich besprochen, was ‚einschläfern‘ bedeutet. Für manche Kinder hier war es die erste nahe Erfahrung mit dem Tod – auch dieses Thema ist ein Teil der tiergestützten Pädagogik.“ Die Hortleiterin trägt das in Bamberg einmalige Konzept konsequent mit, obwohl es für sie und ihr Team mit viel zusätzlicher Arbeit verbunden ist: Auch in den Ferien und an Feiertagen müssen die Horttiere versorgt werden. „An den Wochenenden wechseln wir uns mit der Versorgung ab.“ Während Hündin Daggi bei Kerstin Kruse ihr Zuhause hat, bleiben die Hasen und Meerschweinchen in der Einrichtung. „Viele Kinder wünschen sich ein Haustier – hier erleben sie, welche Aufgaben regelmäßig erledigt werden müssen, damit es den Tieren gut geht. Auch solche, zu denen sie wenig Lust haben, wie das Ausmisten der Ställe.“ Um das auch während der Schließzeiten zu gewährleisten, entwirft sie Pläne, nach denen sich die Kinder und ihre Eltern zum Versorgungsdienst für die Tiere einteilen lassen. „Die Tiere hier sind für die Kinder nichts Außergewöhnliches, sondern Teil ihres Hortalltags.“
»Die Verständigung ist
nicht immer einfach,
und oft sind es die Tiere,
die das Eis brechen.«
Sabine Bauernsachs
34 Schulkinder im Alter zwischen sechs und vierzehn Jahren treffen sich hier nach der Schule in zwei Gruppen zum Mittagessen, Hausaufgaben machen und zur gemeinsamen Freizeit. In dieser spielen die Tiere eine entscheidende Rolle – und fördern häufig auch die Kontakte der unterschiedlichen Schüler*innen. „Ein Drittel unserer Kinder hat einen Migrationshintergrund“, erzählt die Hortleiterin. „Die Verständigung ist deshalb nicht immer einfach, und oft sind es die Tiere, die das Eis brechen.“ In allen Räumen und auch im Treppenhaus hängen selbstgestaltete Plakate, auf denen die Kinder mit Bildern und Farben selbst zusammen gefasst haben, was für den Umgang mit den Tieren zu beachten ist, was gefüttert werden darf und was gar nicht erlaubt ist. Auch Steckbriefe von allen Tieren haben sie selbst gestaltet, und manche basteln Spielgeräte und Häuschen für ihre Tiere. „Kinder mit Aufmerksamkeitsstörungen, die sich weder auf ihre Hausaufgaben noch auf andere Dinge länger konzentrieren können, zeigen im Zusammensein mit den Tieren plötzlich Geduld und Ausdauer“, erzählt Sabine Bauernsachs.
Das Hortteam lässt sich aber auch einiges einfallen, um die Kinder pädagogisch einzubeziehen. So dürfen einzelne Kinder die Tiere bei den Tierarztbesuchen begleiten oder fahren mit einer Erzieherin Futter kaufen. „Dabei kann man wunderbar Mathematik üben“, schmunzelt die 38-Jährige. „Wir lassen sie die Mengen kalkulieren und die Futterpreise ausrechnen.“ Auf die Frage nach besonderen Erfolgsgeschichten in der tiergestützten Pädagogik erzählt die Hortleitung die Geschichte einer Zweitklässlerin mit geistiger Behinderung, die lange nicht erkannt worden war. „Amelie* hat in ihrem Leben so viele Negativerlebnisse erfahren, dass sie kaum noch Selbstbewusstsein besaß und sehr unsicher in ihrem Handeln war. Bei uns war sie aber diejenige, die am besten von allen mit unserem Horthund umgehen konnte und hat das auch selbst so wahrgenommen. Sie sagte: ‚Ich kann nicht gut rechnen, aber ich kann besonders gut mit Tieren umgehen.‘ So hat sie auch gelernt, den Mut für eigene Schritte zu fassen. Ihre erste eigene Entscheidung war, vom Hort in eine Einrichtung zu wechseln, die sie noch besser förderte. Sie kommt uns jetzt regelmäßig besuchen und spielt mit Daggi.“
Zu den festgelegten Regeln im Gartenstadter Hort gehört auch, dass während der Mittags- und Hausaufgabenzeit der Kinder die Tiere ihre Ruhephase haben. In der übrigen Zeit dürfen die Jungen und Mädchen ihre Horttiere ohne Einschränkung besuchen, wenn sie vorher um Erlaubnis gefragt haben. „Manche setzen sich zum Beispiel gezielt zu den Meerschweinchen, wenn es ihnen in der Gruppe zu laut ist und suchen dort Ruhe“, berichtet Sabine Bauernsachs. „Der Umgang mit den Tieren ist eine achtsame Beschäftigung, die in unserer schnelllebigen und mediendominierten Zeit als hilfreicher Gegenpol wirkt. Es funktioniert aber nicht bei jedem Kind: Manche haben einfach keinen Bezug zu Tieren.“ Trotzdem bezieht das Hortteam das Leben in der Natur in die pädagogische Arbeit ein. „Was wissen Sie über Feuerwanzen?“, fragt mich meine Interviewpartnerin unvermittelt. Zum Glück hab ich zumindest ein Bild der kleinen rot-schwarzen Tierchen im Kopf, ansonsten fällt mir nur das alte Kindergartenlied von der kleinen Wanze ein. Sabine Bauernsachs klärt mich auf: „Wir haben derzeit viele Feuerwanzen im Garten und haben sie mit den Kindern beobachtet und erforscht. Dabei haben sie sie auch in die Hand genommen und gelernt, dass Feuerwanzen gut gegen Schnaken sind.“ Und so verlasse auch ich den Kinderhort um mindestens eine Erkenntnis reicher – und achte auf dem Weg zum Auto sorgfältig darauf, die kleinen rot-schwarzen Krabbeltiere am Gehsteigrand nicht zu zertreten … Kerstin Bönisch
* = Name von der Redaktion geändert