Kuck mal, wer da spricht
Baby oder Smartphone – wem schenken Eltern mehr Aufmerksamkeit?
In der Großstadt kann ich es täglich mehrfach beobachten: Mütter, die einen Kinderwagen schieben und gleichzeitig telefonieren. Das steht ganz im Gegensatz zu etlichen Wochenbettstationen, die – aus der Not heraus – ein Handy- und TV-Verbot eingeführt haben, um wenigstens die ersten Tage eines Menschenkindes medienfrei zu halten. Ein Plädoyer für eine handy-reduziertes Miteinander in den ersten Lebensjahren.
Bei fast allen jungen Leuten hat das Handy einen enorm hohen Stellenwert und wird sehr viel genutzt, auch und vielleicht gerade, wenn sie schon Eltern sind. Ab wann es sich dabei um eine Sucht handelt, möchte ich hier gar nicht thematisieren. Mit geht es um die Sicht des Kindes: Was braucht ein Baby, um sich gesund entwickeln zu können? Die unmittelbare und sinnliche Beziehung zur Mutter wie auch zum Vater ist nichts weniger als lebenswichtig. Im ersten halben Lebensjahr versteht sich ein Kind noch nicht als eigenständig; es ist eins mit seiner Bezugsperson. Ab dem siebten Monat etwa fängt es an zu begreifen, dass es unabhängig von Mama und Papa existiert, was zunächst mit großer Trennungsangst („Fremdeln“) verknüpft ist. Mit zwei Jahren jedoch sind Kleinkinder bereits kleine Persönlichkeiten und weinen seltener und kürzer bei einer Trennung, wenn sie die Erfahrung machen konnten, dass ihre Bezugspersonen stets wiederkehren.
Babys brauchen Beziehung
Im ersten halben Lebensjahr braucht ein Baby im Wachzustand Beziehung. Es will, dass wir es auf den Arm nehmen, schaukeln, streicheln, mit ihm kommunizieren, Nahrung geben, Windeln wechseln, es waschen und pflegen. Die Kommunikation ist dabei unverzichtbar, denn in diesem Alter sieht ein Kind noch nicht scharf. Die Stimme, die es hören kann, gibt ihm Sicherheit. Es kann jedoch durchaus wahrnehmen, ob die Stimme ihm gilt oder nicht – mit anderen zu telefonieren ist also ungeeignet, um sein Kontaktbedürfnis zu befriedigen. Die Bedürfnisse eines Kleinkindes sind keine Konsumbedürfnisse wie unser Wunsch nach einem Eis. Angeblich soll Kaiser Friedrich II., Enkel von Barbarossa, im 13. Jhd. ein Experiment mit Babys befohlen haben, um die Ur-Sprache des Menschen herauszufinden: Ihre Ammen sollten sie versorgen, aber nicht mit ihnen sprechen – alle Babies starben! Ob wahr oder nicht – es sind lebenswichtige Grundbedürfnisse des Menschenkindes im ersten halben Lebensjahr, versorgt und in Sprache eingehüllt zu sein.
Negative Folgen
Wenn Eltern in ein Handy sprechen, hört ihr Baby zwar Sprache, aber es wird davon nicht eingehüllt. Unsere Kleinen spüren, ob sie mit unseren Worten gemeint sind oder nicht, denn erst der Klang der Stimme, die Mimik, Gestik und Körpersprache zusammen machen persönliche Kommunikation aus. Sie ist unverzichtbar für eine gesunde Entwicklung.
Es gibt Studien aus Norwegen und Schweden, die besorgt machen. Im Jahr 2013 hatten sich schwedische Kinder zu 20 (in Stockholm 30) Prozent darüber beschwert, dass ihre Eltern gelegentlich zu sehr ins Handy vertieft seien. Und 12 Prozent der Eltern (in Stockholm sogar 20 Prozent) gaben zu, ihre Kinder auf Spielplätzen oder im Schwimmbad wegen ihrer Handy-Nutzung nicht genügend beaufsichtigt zu haben. Schwedische Psychologen und Kinderärzte warnen aufgrund solcher Zahlen vor Verzögerungen in der Sprachentwicklung. Auch wenn entsprechende Studien für Deutschland noch fehlen – die Verhältnisse werden hierzulande kaum anders sein. Kindesvernachlässigung durch Mediengebrauch ist zwar noch ein Randphänomen, aber mit zunehmender Tendenz.
Völlig unterschätzt wird auch die Wirkung des Fernsehers. Schläft ein Baby in seiner Nähe, übt das zuckende Licht Stress auf es aus. Vor allem aber werden die zuschauenden Eltern in ihrer Wahrnehmung für das Kind geschwächt. Ihre Intuition für seine Bedürfnisse kann sich nicht entwickeln, wenn ihre Aufmerksamkeit ständig abgelenkt ist. Haben sie außerdem ein Smartphone zur Hand, um ständig den Nachrichteneingang zu kontrollieren, Informationen abzurufen und Mitteilungen zu versenden, kommen die Bedürfnisse des Kleinkindes auf Zuwendung und vollwertigen Kontakt zu kurz.
Was tun?
So schwer es jungen Eltern auch fallen mag: Babys und Medien passen nicht zueinander. Das liegt nicht zuletzt daran, dass die modernen Medien sehr jung sind. Die menschlichen Gene haben sich noch nicht auf sie einstellen können, denn solche Entwicklungsprozesse erfordern Jahrtausende. Wir Menschen brauchen in erster Linie Menschen, um unser Grundbedürfnis nach Liebe und Geborgenheit zu befriedigen. Auch Erwachsene spüren, dass Medien keine Antwort auf das Bedürfnis nach Zuneigung, Nähe und Streicheleinheiten liefern. Für Kinder ist es sogar ein Grundbedürfnis, ohne welches sie nicht gesund aufwachsen können.
Babys und Kleinkinder benötigen unmittelbare Bezugspersonen, die ihre Zuwendung nicht auf sie und die Medien aufteilen, sondern sie ihnen ungeteilt geben. Sie brauchen nicht nur keine Medien – sie werden durch Medien geschädigt. Jede Minute, die ein Kleinkind im Kinderwagen verbringt, während Mama telefoniert, ist eine verlorene Minute mit Folgen für direkte Kommunikation, Beziehung und Zufriedenheit. Die fehlende Zufriedenheit des Babys zeigt sich zunächst in Unzufriedenheit, später wahrscheinlich in Verhaltensauffälligkeiten. Die mangelhafte Beziehungsqualität wirkt sich im Moment unmittelbar auf Nahrungsaufnahme und Verdauung aus; später kann sie zu Beziehungsunfähigkeit, Sucht und Kriminalität führen. Der Mangel an direkter Kommunikation führt jetzt zu geringerer Sprachkompetenz und später zu niedrigeren Schulleistungen. Diese Zusammenhänge sind wissenschaftlich belegt.
Während der ersten zwei Lebensjahre eines Kindes sollten wir folgerichtig Handy und die anderen Medien nur sehr sparsam und möglichst außerhalb seines Wahrnehmungsbereiches nutzen. Erst danach kann es allmählich und entsprechend seiner Neugier erste Erfahrungen mit Smartphone & Co. machen, während wir nach Möglichkeit immer noch darauf verzichten, Medien in seiner Gegenwart zu verwenden. Kleinkinder unter drei Jahren sollten in der Aufmerksamkeit ihrer Eltern stets an erster Stelle stehen – egal, mit wie vielen Signaltönen sich WhatsApp & Co versuchen wichtig zu machen…
(Detlef Träbert)Detlef Träbert, Dipl.-Päd., verheiratet, lebt in Köln. Er ist freiberuflich tätig als Referent von Elternvorträgen sowie als Buchautor, z.B. „Das 1×1 des Schulerfolgs“ (Beltz), „Disziplin, Respekt und gute Noten“ (Beltz) oder „Kleine Schubse – große Wirkung. 99 Tipps für den Erziehungsalltag“ (MEDU-Verlag) u.a.m. Seine Bücher sowie viele weitere Materialien für Eltern und Lehrer finden Sie auf www.schubs.info, Rubrik „Materialien“.
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