Die Umstände der Geburt des eigenen Kindes bleibt auch viele Jahre danach noch lebendig in Erinnerung – auch bei mehreren Kindern in der Familie. Und auch die Babys erinnern sich an die Geburt und sogar auch an die Schwangerschaft. Bambolino sprach mit den Hebammen Annett Gutschwager und Ulrike Pfannenmüller sowie dem Osteopathen Christian Mayer darüber, warum die intensive Nähe zwischen Eltern und Kind so wichtig ist, und was in Schreiphasen und bei unruhigen Kindern helfen kann. Glückliche Nähe und ein vertrauensvolles Miteinander – das drückt das Foto von unserer Titelmutter Linda mit ihrem kleinen Levi aus, und genau diese innige Harmonie wünscht sich wohl jede Mutter mit ihrem Baby.
Bonding ist ein neuzeitliches Schlagwort dazu, und auch in Kliniken ist es längst bewährter Standard, Eltern mit ihrem Neugeborenen dessen erste Lebensstunden ungestört genießen zu lassen. Das Spüren der Haut, Mamas Herzschlag und ihr Geruch sind für ein Neugeborenes die ersten und wichtigsten Sinneseindrücke. „Hier gehöre ich hin und hier ist jemand für mich da“ sagen sie ihm, und diese Erkenntnis und die damit verbundenen Glückshormone für Mutter und Kind stärken nicht nur ihre Beziehung, sondern die gesamte Bindungsfähigkeit des neuen Erdenbürgers und sein Vertrauen in das Leben. Doch auch wenn die unmittelbare Phase nach der Geburt die sensibelste ist, darf man sie für die nahe Beziehung zwischen Mutter und Kind nicht überbewerten. „Die Geburt ist nur kleiner Teil des Bondings. Das ist ein Prozess, der Zeit braucht. Natürlich ist eine glückliche Geburt ein stärkendes Erlebnis für die ganze Familie, wenn alles gut läuft“, bestätigt Hebamme Ulrike Pfannenmüller. Doch auch, wenn der Geburtsverlauf nicht optimal sei und schlimmstenfalls sogar mit einem Kaiserschnitt oder in der Kinderklinik führe, gebe es viele Möglichkeiten des Bondings. Daher sollte die Erwartungshaltung an das Geburtserlebnis nicht zu hoch sein, betont die Hebamme. „Wichtig ist, dass die Frau mit einer großen Offenheit den Weg in die Geburt geht und einfach versucht, das Beste zu schaffen, ohne sich unter Leistungsdruck zu setzen.“ Verläuft die Geburt eher traumatisch als glücklich, können die Eltern und vor allem die Mutter immer noch „nachbonden“, also das verpasste Geburtserlebnis nachholen und damit die Nähe zu ihrem Baby intensivieren. „Ganz wichtig ist, dass die Frauen viel Körperkontakt mit dem Kind halten, indem sie sich die Ruhe schaffen für solche innigen Momente, in denen sie sich das Kind immer wieder nackt auf den Bauch legen und von oben mit Decken schön warm halten.“ Für beide Seiten – Eltern und Kind – sei dieses Nachahmen der Geburtssituation sehr wichtig als Trost und um immer wieder die gegenseitige Nähe zu spüren. Ulrike Pfannenmüller: „Bonding ist ein ganz weit gefasster Begriff und reicht über das ganze erste Lebensjahr. Es ist sicher nicht alles nachzuholen, aber es ist alles heilbar und Eltern können negative Erfahrungen ausgleichen.“
Die ersten intensiven Nähe-Momente nach der Geburt sind deshalb nur der Beginn des Bonding-Prozesses. Auch die Grundzufriedenheit der Kinder steigt, wenn sich die Eltern auf ein nahes Zusammensein mit ihrem Kind einlassen. „Viele schwierige Situationen der Anfangszeit lassen sich gut lösen, wenn die Mutter auf sich und das eigene Gefühl hört und diesem vertraut oder auch Entspannungstechniken einsetzt, um sich selbst Ruhe zu geben.“, erklärt Ulrike Pfannenmüller. Sie hat jedoch auch schon erlebt, dass viele Frauen heute das gar nicht mehr können. „Die Frauen haben zwar Selbstbewusstsein, aber es fehlt an innerem Bewusstsein und dem Vertrauen in die innere Stärke. Stattdessen wird übers Internet gegoogelt, wo sie mit einer Flut an Informationen überhäuft werden und dadurch völlig verunsichert.“ Zudem seien viele werden Mütter heute selbst innerlich ungebunden, weil sie z.B. viele Trennungserfahrungen hinter sich haben und in der eigenen Familie keinen verlässlichen Halt. „Sie erhalten vielleicht gutgemeinte Ratschläge, wenn es mit dem Baby schwierig wird, aber da ist kein wohlwollendes Netz mehr, das auffängt.“
Deshalb sehen beide Hebammen es nach der Geburt auch als wichtige Aufgabe der jungen Mutter an, gut für sich selbst zu sorgen und die Aufmerksamkeit verstärkt auch sich zu richten – gerade durch die neue Situation mit einem Baby, das oft lautstark seine Bedürfnisse äußert. Annett Gutschwager lässt in ihren Geburtsvorbereitungskursen gerne eine Minute lang Babygeschrei vom Band laufen, um die Reaktionen darauf zu thematisieren. „Obwohl wir vorher immer Entspannungsübungen machen und alle ganz ruhig und bei sich sind, löst das anhaltende Schreien eines Babys sofort Stress und Anspannung aus.“ Die erfahrene Hebamme rät Müttern ebenfalls sich auf ihre eigenen Gefühle und Wahrnehmungen zu konzentrieren. „Wenn wir Stress haben, sucht unser Gehirn nach einer Lösung. Damit gehen wir weg von unseren Empfindungen hinein ins Denken und spüren uns nicht mehr, weil wir ständig irgendetwas im Kopf haben.“ Sie empfiehlt sich in schwierigen Situationen zu bewegen: „Wenn in meinen Babymassage-Kursen die Kinder unruhig werden, lasse ich die Mütter mit den Babys tanzen. Das geht daheim auch: Einfach mit dem Baby im Arm tanzen. Zu einer Musik, die man liebt. Sobald wir unsere Füße spüren, verlagern wir unsere Aufmerksamkeit auf unseren Körper und das Gedankenkreisen im Kopf beruhigt sich.“ Annett Gutschwager beschreibt, dass viele Eltern mit ihrem weinenden Kind instinktiv aufstehen, wenn es sich im Sitzen nicht beruhigen lässt. „Da haben Eltern eine wunderbare Selbstregulierung: Das Laufen beruhigt nicht nur das Kind, sondern auch sie selbst, weil sie sich nicht mehr nur das schreiende Baby konzentrieren, sondern auf das Laufen, den Raum und darauf, nicht irgendwo anzustoßen. Durch die Bewegung spüren sie sich selbst wieder und sind sofort entspannter. Dadurch entspannt sich auch das Kind, weil es merkt, dass sich der Stress löst.“ Ulrike Pfannenmüller gibt noch einen wichtigen Hinweis: „Mütter beziehen das Weinen ihres Babys oft viel zu schnell auf sich und entwickeln sogar Schuldgefühle: Mein Kind schreit, weil ich nicht entspannt genug bin, weil ich es nicht richtig lieb habe oder ihm nicht genug Aufmerksamkeit schenke. Es ist viel zu wenig Akzeptanz da, dass die Kinder auch eine Person sind und etwas zu erzählen haben, z.B. was sie bei der Geburt oder schon in der Schwangerschaft erlebt haben. Babys äußern sich eben vor allem durch Schreien, sie haben nicht viel mehr Möglichkeiten sich auszudrücken und Dinge zu verarbeiten. Die Mutter kann einfach nur da sein und trösten, aber manches muss vielleicht einfach mal rausgeschrien werden, um es loszuwerden.“ Die erfahrene Hebamme vergleicht das mit dem Sturz von der Schaukel am Spielplatz, nach dem Eltern auch nur trösten können, den Sturz selbst aber nicht ungeschehen machen und empfiehlt, sich den Satz zu verinnerlichen „Mein Kind darf auch mal schreien.“
Etwas anderes ist es, wenn physische Ursachen der Grund sind, dass das Baby immer wieder anhaltend weint. Der Bamberger Osteopath Christian Mayer hat sich auf die Behandlung von Neugeborenen, Babys und Kleinkindern spezialisiert und zählt vielfältige Ursachen auf. „Es können Geburtstraumata sein, also alles, was das Kind während der Geburt negativ erlebt hat. Oder, dass sich die Schädelknochen, die ja bei der Geburt verschoben werden, noch nicht dahin positioniert haben, wohin sie gehören, dann verursacht das Schmerzen. Möglich sind auch Wirbelblockaden, ausgelöst durch Stauchungen bei der Geburt, eine einseitige Körperseitenpräferenz oder Verdauungsbeschwerden.“ Bei solchen körperlichen Beschwerden biete die Osteopathie eine gleichermaßen wirksame wie sanfte Hilfe, erklärt Mayer. „Ich arbeite mir den Händen, d.h. ich fühle und diagnostiziere mit ihnen, was dem Kind fehlt. Im Anschluss behandle ich das Baby durch sanfte und weiche Bewegungen und Berührungen“, erklärt der Osteopath seine Arbeit. Für daheim erhalten die Eltern praktische Anleitungen, wie sie ihr Kind halten und tragen können und auch einfache Übungen zeigt ihnen Christian Mayer. „Wenn z.B. bei einem Spuckkind der Magenausgang blockiert ist, kann die Mutter daheim selbst auch die osteopathischen Übungen und Techniken dagegen anwenden.“
Genau wie die Hebammen empfiehlt auch Christian Mayer, dass sich die Mütter in der belastungsreichen Phase mit einem Schreikind alle mögliche Hilfe und Unterstützung holen sollen – vom Partner, aber auch Großeltern und Freunden. Die innere Ruhe unterstützt die Zuwendung zu sich selbst, betont Annett Gutschschwager: „Mütter sollten sich möglichst häufig selbst fragen „Wie geht es mir gerade? Wo stehe ich im Hier und Jetzt? Was machen meine Füße? Wie atme ich?“ Entscheidend ist, in Stress-Situationen auf einen ruhigen fließenden Atem zu achten. Man kann auch selbst die Hand dort auflegen, wo der Körper gestresst ist.“
Für die Ruhe des Babys helfe viel Körperkontakt, vor allem über die Haut und durch Tragen, ergänzt Ulrike Pfannenmüller. „Außerdem ein rhythmischer Tagesablauf und alles, was die Eltern stärkt. Schaffen Sie sich Freiräume für existenzielle Dinge wie Essen und Schlaf und behalten Sie Ihre innere Stärke im Blick.“
Entlastung schafft natürlich auch professionelle Hilfe durch Beratung, die Emotionelle Erste Hilfe (EEH) oder in Schreiambulanzen, die es aber leider im Raum Bamberg (noch) nicht gibt. Auch ein Neugeborenen-Screening beim Osteopathen kann Aufschluss verschaffen, wo die Ursachen liegen. Christian Mayer: „Das ist in Frankreich längst üblich und vergleichbar mit der schulmedizinischen U-Untersuchung, aber eben auf der ganzheitlichen Ebene. Dabei können wir Wirbelblockaden, Dysbalancen und Fehlstellungen oder Fehlverhalten feststellen. Ich empfehle es noch im Wochenbett, also innerhalb der ersten sechs Lebenswochen, um möglichst früh nach eventuellen Geburtsfolgen zu schauen.“
Für alle Mütter heute sei es wichtig, sich neben allen anderen Anforderungen von außen im Alltag immer wieder die Zeit mit dem Kind zu erlauben – auch wenn sich in der Küche
das Geschirr stapelt. Annett Gutschwager: „Wenn das Baby friedlich auf meinem Bauch schläft, dann ist das auch für mich als Mutter eine Auszeit, die ich genießen darf.“ Eine gute Bindung erleichtere später das Lösen, betont die Hebamme und wirbt dafür, dass sich Mütter mehr glückliche Alltagssituationen mit ihren Kindern erlauben. „Ganz wichtig ist eine bewusste Zeit der Nähe vor dem Schlafengehen, z.B. vor dem Abendstillen. Wenn man diese halbe Stunde noch einmal intensiv nur mit seinem Kind verbringt, ohne irgendwas anderes, aber mit Berührungen oder Singen, bei älteren Kindern mit Vorlesen, dann fällt ihm der Abschied in die Nacht leichter, und es schläft auch leichter ein.“